Kommentar: Über den Tellerrand schauen

Ich bin Schüler der 11. Klasse am Humboldt-Gymnasium Vaterstetten, VaterstettenFM-Chefredakteur und B304-Autor. Die aktuelle Flüchtlingssituation betrifft mich also in zweierlei Hinsicht: Einerseits aus journalistischer Sicht, andererseits als Schüler der betroffenen Schule. Was sich derzeit zum Thema “Asyl” in den sozialen Medien abspielt, ist aus meiner Sicht nicht mehr normal. Daher möchte ich auf diesem Weg – in Form eines persönlichen Kommentars – meine Sicht der Dinge darstellen und gleichzeitig dafür werben, dass wir uns mit dem Thema differenzierter auseinandersetzen.

Als ich gestern über den Elternbrief erfahren habe, dass meine Schule Flüchtlinge aufnehmen soll, habe ich es schon kommen sehen. Kurz, nachdem B304.de darüber berichtet und den Artikel auf Facebook bewirbt, würden die ersten populistischen Kommentare zu diesem Thema auftauchen. Und ich sollte Recht behalten. Der Facebook-Eintrag zum Thema wurde zum Diskussionsforum. Darunter viele konstruktive Beiträge unserer Leserinnen und Leser, die sich ernsthaft mit der Situation auseinandersetzen. Ob es nicht auch andere Orte in der Gemeinde, in denen die Asylbewerber untergebracht werden könnten gäbe, meint zum Beispiel eine Leserin. Eine gute Frage, und auch eine, über die man ernsthaft diskutieren kann. Wenn dann allerdings zu dieser Frage eine rechtsradikale, wenn nicht sogar volksverhetzende Antwort, welche ich an dieser Stelle bewusst nicht wiedergeben werde, zeigt das, wie klein das Weltbild mancher Personen ist.

Sicherlich kann man die Situation nicht kleinreden, und das sollte man auch auf keinen Fall tun. Der Vorfall in Zorneding ist sicherlich nicht fördernd für das Ansehen der Asylbewerber und sorgt für neuen Diskussionsstoff. Auch hier haben wir eine Facebook-Meldung zum Artikel erstellt. Das Ergebnis war absehbar: „Ab nach Hause“ – „Hoam schicka“ waren die Antworten einiger Kommentatoren. Hauptsache pöbeln lautet die Devise. Warum es erst zu solchen Ausschreitungen kommen musste? Egal, man braucht halt immer einen Sündenbock, und das sind im konkreten Fall die Flüchtlinge. Dass es ohne ausreichende Betreuung und noch dazu bei Bewohnern aus verschiedenen Herkunftsländern mit verschiedenen Religionszugehörigkeiten zu Ausschreitungen kommt, ist absehbar. Doch viele denken hier nicht weiter und suchen den Schuldigen mal wieder – wo sonst – bei den Bewohnern des Asylbewerberheims.

Gott sei Dank gibt es noch einige Personen, die weiter denken, und ernsthaft über die Probleme diskutieren und auch Lösungsansätze suchen. Diese populistischen Kommentare sind aber noch harmlos gegen die, die andere von sich geben. In einem Falle wird einem Leser abgeraten, sich die Lage vier Wochen nach dem Einzug der Bewerber (in den Containern am Technopark in Neukeferloh) anzusehen. Sonst bekäme der Leser ja noch „Ebola und sonst irgendwelche Seuchen“. Geht’s noch?

Das Fass zum Überlaufen brachte dann die Info, dass schon sehr bald Asylbewerber in unsere Turnhalle einziehen könnten. Von „Gesindel“ ist hier die Rede. Gegenargumente? Gibt es für die Pöbler nicht. Stattdessen nur ein „Blablablabla“, mit „Linksgesinnten“ diskutiere man nicht. Aber natürlich wird auch diese Position begründet: Bald nämlich werden in Baldham, so zumindest die Meinung einer Person, „7 Dealer und 8 Einbrecher“ unterwegs sein. Sogar von „Gegendemos“ ist da die Rede. Eine Mutter hat gar Angst um ihre Kinder.

Wer denkt eigentlich einmal an die Flüchtlinge? Warum sind sie aus ihrer Heimat geflohen, haben alles liegen gelassen? Ganz sicher nicht, um unseren Sozialstaat auszuplündern oder um kriminell zu werden. Dass mangelnde Betreuung und die Unterbringung zum Beispiel in der Schulturnhalle aber genau das fördert, ist klar. Doch wer trägt daran die Schuld? Das sind sicher nicht die Flüchtlinge. Es ist unsere Politik. Und damit meine ich nicht unsere Kommunal- und Landkreispolitik. Die ist mit der aktuellen Situation nämlich überfordert. Dass es dann zu Fehlentscheidungen, wie im Falle Zorneding kommt, ist klar.

Soll ich nun wütend sein? Ich weiß es nicht. Ein wenig Hoffnung bekomme ich da von den direkt Betroffenen, nämlich meinen Schulkameraden. Deren Weltbild ist zum Glück ein bisschen offener als das manch anderer. So sorgte der Elternbrief natürlich für rege Diskussion auch bei uns. Wir waren uns aber schnell einig: Was ist denn daran so schlimm, anderen Menschen zu helfen? Angst hat von uns übrigens keiner. Der Schulbetrieb wird, bis auf den Sportunterricht, noch nicht einmal beeinflusst. Und auch bei uns gibt es kritische Stimmen, dann aber nicht in Form von ausländerfeindlichen Parolen, sondern mit guten Argumenten. Panik oder Hysterie, die von manch anderen verbreitet wird, gibt es aber nicht. Warum auch?

Am Schluss kann man nur hoffen, dass die Flüchtlinge professionelle Unterstützung bekommen und so schnell Hoffnung auf ein besseres Leben bekommen. Denn die aktuelle Situation ist in jeder Hinsicht inakzeptabel. Ich bin mir sicher, sobald es Neuigkeiten im Fall gibt, geht das Spiel erneut los: Es wird wieder um die Wette gepöbelt. Das liegt wohl in der Natur des Menschen und wird sich nie ändern. Schade eigentlich! Über den Tellerrand schauen würde helfen.

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